Ein
Wesen gibt es chaotischer Art,
das noch vor Himmel und Erde ward,
so tonlos, so raumlos.
Unverändert, auf sich nur gestellt,
ungefährdet wandelt es im Kreise.
Du kannst es ansehen als Mutter der Welt.
Ich kenne seinen Namen nicht.
Ich sage Weg, damit es ein Beiwort erhält.
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Laotse
(Tao-Te-King)
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Die traditionellen
Künste kann man größtenteils, mit Ausnahme
der Aufführungskünste, wie z. B. dem No-Theater,
unter dem Oberbegriff Geido zusammenfassen, was so viel wie
Kunst-Weg bedeutet.
Das Weg-Konzept wurde bereits in den Klassikern des chinesischen
Altertums formuliert (z. B. Laotze und Chung-tzu), daher handelt
es sich in Japan eher um eine Aktualisierung dieses ursprünglich
chinesischen Konzepts. Do ist die sinojapanische Lesart des
chinesischen Schriftzeichen tao. Do bezieht sich auf die Form
und den Inhalt der Ausübung der verschiedenen nichtbäuerlichen
Berufe, seien sie nun in den Künsten oder im Handwerk
angesiedelt. Ob die jeweilige Tätigkeit als Weg bezeichnet
werden konnte, hing von der perfekten Beherrschung der Technik
ab. Bis in die Heian-Zeit lag das Hauptgewicht zunächst
auf der Kunstfertigkeit, bzw. dem technischen Geschick. Im
Frühmittelalter erfuhr das Weg-Konzept hingegen durch
den Buddhismus eine grundlegende philosophisch-religiöse
Erweiterung.
So setzte der bedeutende Zen-Meister Dogen den Weg mit dem
buddhistischen Erleuchtungsbegriff gleich. Übung und
Erleuchtung sind auch nach den Vorstellungen des Tendai-Buddhismus
gleichzusetzen, da es sonst zu einem Dualismus zwischen Mittel
(Übung) und Zweck (Erleuchtung) kommen würde. Der
Weg-Begriff bezieht sich daher weniger auf das Erreichen eines
bestimmten Ziels, als auf das Unterwegssein selbst. Zwar gibt
es je nach ausgeübter Tätigkeit unterschiedliche
Wege, sie können aber alle durch die Ausübung der
Praxis zur Erleuchtung führen.
Neben dem Taoismus und Buddhismus gibt es noch einen dritten
Ursprung, den Konfuzianismus. Er steuerte eine ihm eigene
Ethik und die Einordnung in eine hierarchische Ordnung bei.
Im Laufe der Zeit vermischten sich die drei Ursprünge
zu der spezifisch japanischen Weg-Vorstellung.
Die Konzeption des Weg-Begriffs zeigt, dass die Ausübung
der traditionellen Künste sich nicht auf das rein Ästhetische
bezieht oder die Herstellung des eigentlichen Kunstwerks,
sondern auf das ganze menschliche Tun überhaupt.
In den dem Weg (do) zugeordneten Künsten wird eine Vervollkommnung
der Persönlichkeit angestrebt. Die notwendige Technik
der jeweiligen Kunst wird in einem Meister-Schüler-Verhältnis
gelehrt. Erst durch die völlige Beherrschung der Technik,
die durch die Wiederholung des Wiederholten angeeignet wird,
kommt es schließlich dazu, dass der Künstler über
die reine Technik hinauswächst und unbewusst und damit
intuitiv schafft. Dieses unbewusste Schaffen, in dem sich
das taoistische Prinzip des wu-wei (Nicht-tun) wiederfindet,
ist dann wahre Freiheit, die nicht durch die Anhaftung an
irgendwelche ästhetischen Theorien behindert wird. Als
entsprechendes Bild wird z. B. von Windpersönlichkeit
gesprochen. D. h. kultiviert sein, im Sinne der klassischen
japanischen Ästhetik, bedeutet nicht eine Überwindung
der Natur, sondern ein Einswerden mit der Natur. Der entsprechend
geschulte Geist hat dann die Fähigkeit ungehindert überall
hin zu wehen, wie der Wind.
Aus diesem Grund sind auch die Kriegskünste (Budo), wie
z. B. Aikido oder Judo, wesensverwandt, denn in ihnen ging
es ursprünglich nicht um Sieg oder Niederlage im sportlichen
Wettkampf, sondern ebenfalls um eine Charakterschule, was
z. B. in dem Spruch: Wahrhaft siegt, wer nicht kämpft
ausgedrückt wird.

Die Schriftzeichen für die Kampfkunst Aikido
das letzte Zeichen steht für den Weg Do (aus Wikimedia
commons).
Der Weg-Begriff
umfasst daher nicht nur das Ästhetische, sondern auch
das Ethische. Mit der Überwindung des Egos geht aber
auch gleichzeitig die Erkenntnis der Wahrheit (Erleuchtung),
im buddhistischen Sinn, durch die Vernichtung der dualistischen
Weltsicht, einher.
Die dem Weg zugeordneten Künste sind also dem Wahren,
Guten und Schönen als untrennbare Einheit verpflichtet.
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