Kulturverständnis
des klassischen Japans:
In Japan wurde vor der Meji-Restauration ein anderer Ausdruck
für Kultur benutzt als dies heute der Fall ist. Dieser
Kulturbegriff hängt unmittelbar mit der klassischen japanischen
Ästhetik zusammen und ist dem europäischen Kulturbegriff
entgegengesetzt. Daher scheint es reizvoll, die beiden Kulturbegriffe
miteinander zu vergleichen.
Der europäische Kulturbegriff leitet sich vom lateinischen
colere, bzw. cultura ab, was soviel bedeutet wie die Natur
urbar machen und einen Acker bestellen. Im weitesten Sinn
ist Kultur also etwas was der Mensch selber gestaltet, während
die Natur aus sich selbst heraus, ohne den Einfluss des Menschen,
ist. Kultur und Natur sind also dualistische Gegensätze.
Im alten Japan bzw. auch China wurde für Kultur das Zeichen
für Wind benutzt. So sagt man z. B. über
einen Menschen der kultiviert ist und gerne schreibt und Gedichte
schätzt, dass er eine Windanmut besitzt.
Ein anderes Beispiel wäre, dass ein bestimmtes Volk Windsitten
oder Windgewohnheiten aufweist. Die Bildung eines
Volkes wird mit Windaufklärung oder Windbelehrung
ausgedrückt. Die wenigen Beispiele zeigen, dass in Japan
ein anderes Kulturverständnis herrschte als in Europa.
Wind hat aber natürlich nicht nur eine Beziehung zur
Kultur, sondern auch zur Natur als ein Naturphänomen.
Natur heißt auf sinojapanisch shizen und besteht aus
den Silben shi, was soviel bedeutet wie von selbst und zen
was u. a. sosein heißt, zusammen genommen also von selbst
so sein.
Mit dem Ausdruck Wind wird sowohl eine Assoziation zur Natur
als auch zur Kultur hergestellt. Kultiviert sein heißt
im übertragenen Sinn daher frei wie der Wind zu sein
und überall hin zu wehen. Was überwunden werden
muss ist nicht die Natur, sondern die Künstlichkeit.
Die Künstlichkeit liegt wiederum im substanziellen Ich
bzw. Ego begründet, das vom Buddhismus als Illusion erkannt
wird. Das freie Selbst, das überall hin wehen kann ohne
anzuhaften, wird im Buddhismus als leer bzw. als
Buddhanatur bezeichnet. Womit klar wird, dass diese Kulturvorstellung
und damit auch die klassische japanische Ästhetik ihre
Grundlage im Buddhismus findet.
Bezogen auf die klassische japanische Ästhetik bedeutet
dies, dass die Kunst eine kunstlose Kunst ist, denn Künstlichkeit
entsteht durch eine dualistische Sicht von Kultur bzw. Geist
und Natur. Die traditionelle japanische Kunst strebt in Verbindung
mit der Wegvorstellung (siehe Kapitel do (Weg) ein Einswerden
mit der Natur an und nicht die Überwindung derselben,
was dann in dem westlichen Glauben gipfelt, der Mensch beherrsche
mit Hilfe der Technik die Natur und stehe ihr als etwas Anderes
gegenüber.

Statue (Foto aus Wikimedia commons) des Shogun Ashikaga Yoshimasa.
Er wandte sich von der Politik ab, wurde buddhistischer Mönch
und zum Förderer der Higashiyama-Kultur.
Yoshimasa ist vor allem durch den Bau seines Altersruhesitz
des
Silbernen Pavillions Ginkaku-ji bekannt.
So etwas
wie die Zentralperspektive, in der das Ganze im Bild Dargestellte
auf einen einzigen Mensch hin projiziert wird und das Dargestellte
daher dem Mensch gegenüber steht, ist in den Tuschgemälden
nicht zu finden, vielmehr erscheinen Menschen mit ihren Häusern
in die umgebende Landschaft eingebettet, also als ein Teil
von ihr, wie dies auch in der Architektur offensichtlich wird
(siehe Kapitel Villa
Katsura).
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